Expertenmeinung

EZB überprüft die Effekte des Negativzinses

Lesedauer: 3 Min
Die Negativzinsen hätten auch nachteilige Effekte, sagt der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Notenbank überprüft deshalb die Wirkung der Zinspolitik und wird gegebenenfalls unerwünschte Nebeneffekte lindern.

Mario Draghi macht keinen Hehl daraus: Die Negativzinsen hätten auch nachteilige Effekte, sagt der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Notenbank überprüft deshalb die Wirkung der Zinspolitik und wird gegebenenfalls unerwünschte Nebeneffekte lindern. Eigentlich sollten Negativzinsen das Kreditwachstum anschieben - was aber nur teilweise gelang. Zwar wachsen die Geldausleihungen, doch gemessen an den Vorkrisenjahren sind die Zuwachsraten noch immer verhältnismässig gering. Stattdessen entpuppten sich die Minuszinsen für den ohnehin angeschlagenen europäischen Bankensektor als Kostenblock, der die ohnehin geschwächte Profitabilität zusätzlich in Mitleidenschaft zieht.

Altersvorsorge leidet

Auch bei Unternehmen und Konsumenten zeigt die Zinspolitik negative Effekte. Eigentlich sollten Null- oder Negativzinsen dazu führen, dass weniger gespart und stattdessen zukünftiger Konsum vorgezogen wird. Doch wenn Zinseinnahmen fehlen und die Altersvorsorge darunter leidet, sparen Privathaushalte mehr, um die Null- oder Negativzinsen auszugleichen. Die fehlenden Zinserträge schmerzen auch Pensionskassen. Im schlimmsten Fall müssen Arbeitgeber sogar Geld nachschiessen, um Verpflichtungen zu erfüllen. So wollte etwa die deutsche Regierung mit dem noch relativ neuen Betriebsrentenstärkungsgesetz die betriebliche Altersvorsorge stärken, doch die aktuelle Zinspolitik macht dem in der Praxis einen Strich durch die Rechnung.

 

Was kann die EZB tun?

Am einfachsten ist es, den Negativzins zu reduzieren. Allerdings wäre dies eine Zinserhöhung, was in der aktuell schwierigen konjunkturellen Situation das falsche Signal wäre. Realistischer ist hingegen, dass die EZB den Geschäftsbanken grosszügige Freibeträge einräumt. Laut Medienberichten steht dabei ein Stufenzins zur Debatte. Die Gelder, die Banken bei der Zentralbank halten müssen, die sogenannten Mindestreserven, könnten etwa von der Zahlung des Negativzinses befreit werden. Darüber hinausgehende Beträge würden dann in einer gestaffelten Form den Negativzinsen unterliegen. Welches System aber zum Einsatz kommt, bleibt Gegenstand von Spekulationen. An Kreativität fehlte es EZB-Chef Draghi jedenfalls bislang noch nie.

 

Noch keine Entscheidung getroffen

Die Währungshüter wollen zunächst einmal die tatsächlichen Nettoeffekte analysieren. Einerseits zahlen die Banken für Einlagen bei der EZB, andererseits sind aber auch ihre Finanzierungskosten günstiger. Der EZB scheint es aber ernst zu sein. Das Thema Negativzins und seine Wirkung auf den Banksektor wurden an der letzten EZB-Medienkonferenz mehrmals erwähnt. Es könnte also nicht nur bei der Spekulation bleiben. Möglicherweise wird schon bald eine Teilbefreiung für Banken angekündigt. Eines steht jedenfalls fest: Die EZB hat sich das Jahr 2019 anders vorgestellt. Ursprünglich wollte sie den Leitzins anheben. Davon ist keine Rede mehr. Eine Leitzinswende rückt in Anbetracht der schwächelnden Konjunktur in weite Ferne. Vermutlich wird selbst Mario Draghis Nachfolger, der im November übernimmt, noch lange Zeit an einer lockeren Geldpolitik festhalten müssen.

 

---

Finanzmarktkommentar von

Dr. Thomas Gitzel
Chief Economist bei der VP Bank

#Investment Research

Ersten Kommentar schreiben

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.