US-Präsidentenwahl: Es könnte etwas länger dauern
Der Ausgang der 59. Wahl des US-Präsidenten am 3. November ist nur wenige Tage vor dem Urnengang weiterhin offen. Auch wenn der Demokrat Joe Biden in nationalen Umfragen noch immer acht Prozentpunkte vor dem Amtsinhaber Donald Trump liegt, ist das Ergebnis in einigen der entscheidenden «Swing-States», wo es keine traditionelle Mehrheit für die eine oder andere Partei gibt, alles andere als klar.
Dabei spielt Florida eine bedeutende Rolle. Der Staat ist mit 29 Wahlmännern der gewichtigste Wechselwähler-Staat. Es sind die Wahlmänner, die im «Electoral College» den neuen US-Präsidenten wählen. Gerade in Florida gelang Trump zuletzt eine beachtliche Aufholjagd. Laut RealClearPolitics hat sich der Vorsprung von Biden mittlerweile eingeengt (siehe Grafik).
Florida: Wahlumfragen
Entscheid per Post
Doch es ist nicht nur der offene Wahlausgang, der für Spannung sorgt. Der unterschiedliche Umgang mit der Covid-19-Pandemie wird den Ablauf erheblich beeinflussen. Während im republikanischen Lager die Furcht vor gesundheitlichen Risiken des Corona-Virus weniger stark ausgeprägt zu sein scheint, ist auf Seiten der demokratischen Wähler der Respekt vor der Pandemie grösser. Die Universität von Monmouth fand in einer im August erhobenen Umfrage heraus, dass drei Viertel der republikanischen Wählerschaft persönlich ihr Votum abgeben werden. Ganz anders bei Demokraten: Fast drei Viertel der Befragten waren bereit, per Brief abzustimmen.
Das heisst, in diesem Jahr werden insgesamt viel mehr Wahlberechtigte ihre Stimme per Post abgeben; die Stimmen der Briefwahl dürften daher entscheidend sein. Im Jahr 2016 machten knapp ein Viertel oder 33 Millionen der wahlberechtigten Bürger von der postalischen Stimmabgabe Gebrauch. 2020 werden es nach Schätzung des «United States Elections Project» von der Universität Florida 83 Millionen sein. Die Auszählung der Wahlzettel, die per Post eingehen, könnte die Bekanntgabe des Ergebnisses erheblich verzögern. So ist es in einigen Bundesstaaten (u.a. Alaska, Arizona, Kalifornien, Illinois, Kansas) erlaubt, noch am Wahltag per Brief abzustimmen. Das heisst, solche Stimmen werden erst später gezählt. In Kalifornien muss der Brief spätestens am Wahltag abgestempelt worden sein, um eine Zulassung zur Wahl bis zum 20. November zu erhalten.
Wann liegen erste Ergebnisse vor? Erste Ergebnisse am Wahltag sollten wegen der Briefwahl mit Vorsicht genossen werden. Dennoch werden sich die Medien auf erste Resultate stürzen. Dabei handelt es sich zunächst um Hochrechnungen, die wiederum auf Nachwahlbefragungen beruhen. Wenn diese «Exit polls» eine klare Tendenz über das Ergebnis in einem Staat wiedergeben, werden sie veröffentlicht. Andernfalls gelten sie als «too close to call». In diesem Fall müssen erst genügend Wahlbezirke ausgezählt werden. Bei Schliessung der Wahllokale ist meist eine erste Hochrechnung möglich (Zeiten MEZ, in Klammern Wahlmännerstimmen pro Bundesstaat):
Gegen 5 Uhr mitteleuropäischer Zeit sollte ein erstes Ergebnis vorliegen, das aber noch nicht die vollständigen Stimmen der Briefwahl enthält. |
Wie lange die Auszählung der Briefwahlstimmen benötigt, hängt von verschiedenen Modalitäten ab, also ob eine vorzeitige Verarbeitung der Stimmen möglich ist. Dazu zählen etwa die Öffnung der Umschläge und die Überprüfung der Formalitäten (Unterschrift, Namen an der richtigen Stelle usw.). Darüber hinaus, stellt sich die Frage, wann mit der Zählung begonnen werden darf. In mehr als der Hälfte der Bundesstaaten muss damit bis zum Wahltag gewartet werden. Ein zusätzlicher Faktor ist, wie viele Briefwahlumschläge schon vor dem Wahltag eingetroffen sind und vorverarbeitet werden konnten. Rund 44 Millionen Briefwähler sollen ihre Stimme bereits abgegeben haben (Quelle: United States Elections Project; Stand: 27.10.2020). Für die Schlüsselstaaten haben wir eine Übersicht zur Auszählungsmodalität erstellt:
Anfechtungsklagen werden kommen
Gibt das Gros der republikanischen Wählerschaft tatsächlich die Stimme persönlich ab und die Demokraten mehrheitlich per Post, könnte Trump möglicherweise in der Wahlnacht das Rennen um das Weisse Haus anführen. Biden würde dann sukzessive nach Auszählung der brieflichen Stimmen aufholen und möglicherweise am amtierenden US-Präsident vorbeiziehen. Ein solcher Verlauf wäre besonders problematisch, wenn sich Trump am Wahltag als Sieger präsentieren würde. Sollte schliesslich sein Herausforderer an Stimmen gewinnen, könnte das republikanische Lager von «Wahlbetrug» sprechen. Eine Umfrage der Institute «Center for American Progress» und «American Enterprise Institute» zeigt, dass 80 % der republikanischen Wählerschaft mit einem Betrug bei der Briefwahl rechnen. Trump weiss also seine Wählerschaft im Rücken, wenn er das amtliche Wahlergebnis nicht akzeptieren sollte.
«Wahlbetrug» ist allerdings juristisch nicht belastbar. Konkret geht es um sogenannte Anfechtungsklagen der Briefwahl. Das US-Recht bietet dafür einige Optionen. Das reicht von der genauen Platzierung der Unterschrift bis zur Lesbarkeit des Namens bei der Briefwahl. Neuerliche Auszählungen und Auswertungen könnten also auf der Agenda stehen. Am Ende könnte gar ein richterlicher Entscheid notwendig sein. Dies war etwa bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 der Fall. Durch die juristischen Probleme bei der Stimmenauszählung in Florida dauerte es nach der Wahl mehr als einen Monat, bis das Ergebnis feststand. Als der damals mehrheitlich republikanisch besetzte Oberste Gerichtshof letztinstanzlich eine erneute Nachzählung in bestimmten Wahlkreisen Floridas verbot, war der Wahlsieg des republikanischen Kandidaten offiziell. George W. Bush hatte die Wahl dank einer bis heute umstrittenen Differenz von 537 Stimmen in Florida gewonnen. Das kuriose daran war, dass der Gegenspieler Al Gore am Wahltag in Florida zunächst zum Sieger erklärt wurde, obwohl in Teilen des Bundesstaats nicht alle Wahllokale schon geschlossen waren.
Wie es auch immer kommt, spätestens am 8. Dezember muss ein Ergebnis vorliegen, da am 14. Dezember das «Electoral College» zusammentritt, um den Präsidenten zu wählen. Schwierig wird es, wenn bis zu diesem Datum nicht geklärt ist, wer das Rennen gemacht hat. An diesem Punkt stösst die US-Verfassung an ihre Grenze. Denkbar wäre dann, dass das Parlament eines betroffenen Bundesstaats per Mehrheitsvotum die Wahlmänner nominiert.
In Anbetracht der sich abzeichnenden hohen Wahlbeteiligung rechnen wir jedoch nicht mit diesem «Worst Case»-Szenario. Die Bürger werden erwarten, dass ihre Stimme zählt und die Parteien unter Umständen mit Hilfe der Gerichte ihr Votum akzeptieren.
Fazit
Der hohe Anteil von Briefwählern macht die diesjährige US-Präsidentschaftswahl zu einer besonderen. Ob am Wahltag ein verlässliches Ergebnis vorliegt, ist ungewiss. Je knapper Donald Trump und Joe Biden beieinander liegen, desto wahrscheinlicher wird es, dass aus dem «Wahltag» eine oder mehrere «Wahlwochen» werden. Allerdings ist bereits eine hohe Anzahl von Wahlumschlägen eingegangen, die in den meisten Bundesstaaten auch zur Auszählung vorbereitet werden dürfen. Je klarer das Votum zugunsten eines Kandidaten ausfällt, desto geringer das Risiko von Klagen. Doch selbst wenn das Ergebnis lange auf sich warten lässt, es wird Ergebnis geben. Die Erleichterung darüber, dass die heikle Wahl 2020 endlich abgehakt ist, könnte hinterher umso grösser sein und an den Börsen zu einer Erleichterungsrallye führen.
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